Verführung - das älteste Laster der Menschheit
Verlangen und Begierde - diese Gefühle sind wohl jedem von uns
bekannt. Etwas so stark zu begehren oder wollen, dass man an nichts
anderes mehr denken kann. So sehr nach etwas zu trachten, dass das
Leben keinen Sinn mehr zu machen scheint, wenn man das Begehrte nicht
erlangt. Gesteigert wird dieses Gefühl sogar noch, wenn wir Dinge,
Menschen oder Situationen begehren, die eine Überwindung unseres
Gewissens verlangen oder unsere Moral in Frage stellen, weil sie gesellschaftlich
verpönt sind. Die Krönung der unmoralischen Verlockungen
ist der Zeitpunkt der Verführung. Gibt man in diesem Moment seinen
Gelüsten nach, dann gibt es kein Zurück mehr.
Die Geschichte der Verführung begleitet die Menschheit bereits
seit Anbeginn der Zeit. Dem christlichen Glauben zufolge, begann sie
mit Adam und Eva im Garten Eden. In der Bibel ist zu lesen, dass der
Teufel in Gestalt einer Schlange Eva dazu verführte, vom verbotenen
Baum der Erkenntnis zu essen. Sie gab auch Adam etwas von der verbotenen
Frucht, woraufhin Gott sie beide aus dem Paradies verbannte.
Seither werden Begierde und Verführung mit etwas Teuflischem
und Bösem gleichgesetzt. Wir wachsen in dem Glauben auf: Gebe
ich der Verführung nach, so hat dies stets negative, wenn nicht
gar verheerende Folgen. Aber gerade dieses Wissen scheint den Menschen
in seiner Begierde noch anzutreiben. Bekanntestes Beispiel ist das
Fremdgehen: Heute gibt es kaum eine Partnerschaft, in der nicht mindestens
einer der beiden Partner schon einmal daran gedacht hat, fremdzugehen
oder diese Grenze sogar überschritten hat, indem er sich der
Verführung hingab.
Der Reiz der Grenzüberschreitung in Form der Verführung
liegt Forschern zufolge in der Biologie des Menschen. Einst sicherten
uns Impulse wie Neugier und Erkundungsdrang das Überleben und
so schüttet unser Gehirn auch heute noch Glückshormone aus,
wenn wir Neues entdecken und aus unseren Komfortzonen ausbrechen.
Dabei verspricht das Verlangen nach Verbotenem eine besonders hohe
Ausschüttung. All das, was wir scheinbar nicht haben können,
bekommt einen besonders intensiven Reiz. Verlangen resultiert häufig
aus dem Gefühl, etwas zu verpassen. Das fängt bei strikten
Diäten an, geht über elterliche Anordnungen wie: "Geh
niemals an diese Schublade!" bis eben hin zum Betrug des Lebenspartners.
Viele Anthropologen sind der Meinung, das Fremdgehen in der Natur
des Menschen liegt und das Monogamie eine von der Gesellschaft erfundene
Beziehungsform ist. Vielleicht ist es also der Ruf unserer tiefsten
Instinkte, der uns immer wieder dazu verleitet, konventionelle Grenzen
zu überschreiten.
An dieser Stelle drängt sich die altkluge Weisheit auf: "Auf
der anderen Seite ist das Gras immer grüner." Jeder, der
sich schon einmal auf die andere Seite begeben hat, um das dortige
Gras auf seine Attraktivität zu untersuchen, wird festgestellt
haben, dass auch dieses Grün nicht von allzu langer Dauer ist.
Doch aller Weisheit und wissenschaftlicher Erkenntnisse zum Trotz
ist die Verführung ein Phänomen, das den Menschen seit jeher
begleitet und auch wohl immer begleiten wird.